Patienteninformation: Risikobewertung einer Radon-Therapie
Stellungnahme von Prof. Dr. phil. nat. Alexander Kaul, Präsident i. R. des Bundesamtes für Strahlenschutz:
Ist eine Radon-Therapie im Heilstollen oder im Wannenbad der Gesundheit des Patienten abträglich?
Viele Menschen leiden an chronischen Erkrankungen, die mit rheumatischen Schmerzen einhergehen. Diese Erkrankungen des sog. rheumatischen Formenkreises umfassen einerseits entzündliche Veränderungen der Gelenke und der Wirbelsäule, andererseits aber auch deren Verschleißerscheinungen. Zu den entzündlichen Erkrankungen der Gelenke gehört vor allem die chronische Polyarthritis (rheumatoide Arthritis), zu den entzündlichen Erkrankungen der Wirbelsäule in erster Linie der Morbus Bechterew. Verschleißerkrankungen der Wirbelsäule sind Bandscheibenschäden (Osteochondrosen), Verschleißerkrankungen der Gelenke sind zum Beispiel die Hüftarthrose und die Arthrose der Kniegelenke und der Fingergelenke.
Medikamentös werden diese Erkrankungen bevorzugt mit sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika behandelt. Die nicht-steroidalen Antirheumatika können jedoch die Magenschleimhaut mehr oder minder stark beschädigen (Magengeschwüre, Magenblutung, Magendurchbruch), oder sie können Schäden am Herzen, an den Blutgefäßen und an der Niere verursachen.
Radon als Heilmittel
Daneben genießt Radon, ein in der Natur vorkommendes radioaktives Edelgas, von altersher den Ruf einer besonderen Wirksamkeit von Heilquellen bei der Therapie dieser chronischen rheumatischen Erkrankungen. Radon und seine radioaktiven Zerfallsprodukte werden in Heilstollen oder Wannenbädern während der Therapie mit der Luft eingeatmet oder gelangen durch die Haut in den Körper des Patienten und entfalten dort ihre Heilwirkung, insbesondere auf das Immunsystem. Daraus wird von Kritikern der Radon-Therapie ein Lungenkrebsrisiko für den Patienten abgeleitet und mit dem Lungenkrebsrisiko durch Radon in Wohnungen mit erhöhter Radon-Konzentration gleichgesetzt.
Die Folge ist eine Verunsicherung des Patienten, der geheilt und nicht durch die Therapie geschädigt werden möchte. Wissenschaftlich haben sich Mediziner, Bio-Physiker und Strahlenschutzfachleute (P. Deetjen, A. Falkenbach, D. Harder, H. Jöckel, A. Kaul, H. von Philipsborn) im Auftrag von RADIZ mit dieser Frage beschäftigt. Sie haben die Ergebnisse ihrer Untersuchung unter dem Titel „Radon als Heilmittel – Therapeutische Wirksamkeit, biologischer Wirkungsmechanismus und vergleichende Risikobewertung“ veröffentlicht. Die Studie ist im Jahr 2005 beim Verlag Dr. Kovač, Hamburg, erschienen.
Auf Grund der wissenschaftlichen Erkenntnisse dieser Studie kann dem Patienten auf seine berechtigte Frage nach dem möglichen Risiko einer Radon-Therapie wie folgt geantwortet werden:
Sehr geehrte Patientin,
sehr geehrter Patient,
ärztliche Maßnahmen sind manchmal mit unerwünschten Nebenwirkungen für den Patienten verbunden. Sie werden vom Arzt bei der Entscheidung berücksichtigt, welche Maßnahme er im Einzelfall für die Aufklärung oder Heilung einer Erkrankung wählt. Im Vordergrund für seine Entscheidung steht immer die Abwägung zwischen dem Nutzen einer Maßnahme für den Patienten und dem Risiko unerwünschter Nebenwirkungen. Dies gilt auch für die schmerzstillende und entzündungshemmende Therapie chronischer rheumatischer Erkrankungen, die medikamentös mit sog. nicht-steroidalen Antirheumatika oder in Heilstollen oder Wannenbädern mit Radon behandelt werden.
Die nicht-steroidalen Antirheumatika wirken antiinflammatorisch und analgetisch durch Hemmung der Biosynthese von sog. Mediatoren der Entzündungsreaktion und Schmerzempfindung. Die bei langfristiger Anwendung nicht auszuschließenden unerwünschten Nebenwirkungen können als oberflächliche Schleimhautschädigungen, blutende Geschwüre im Magen-Darm-Trakt oder sogar als Perforation (Magendurchbruch) in Erscheinung treten. Auch kardiovaskuläre Komplikationen sind als Nebenwirkungen bekannt.
Die Radon-Therapie in Heilstollen oder in Wannenbädern beruht auf der biologischen Wirkung des natürlich radioaktiven Edelgases Radon und seiner radioaktiven Zerfallsprodukte auf das Immunsystem. Es kommt in der Regel zu einer lang anhaltenden Schmerzlinderung, die in klinischen Langzeitstudien belegt werden konnte. Neben dieser Heilwirkung der natürlichen Radioaktivität sind strahlenbedingte unerwünschte Wirkungen nicht grundsätzlich auszuschließen, aber äußerst unwahrscheinlich. Radon hat zwar bei Uran-Bergarbeitern und bei lebenslangem Wohnen in Gebäuden mit geologisch bedingtem hohem Radongehalt Lungenkrebs mit einer Wahrscheinlichkeit im Prozentbereich verursacht. Bei einer therapeutischen Radonanwendung ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Wirkung jedoch ein überaus kleiner Bruchteil davon, wenn überhaupt vorhanden. Das geht aus folgenden Tatsachen hervor:
1. Die Strahlendosis einer Radon-Kur in einem Heilstollen oder Wannenbad ist höchstens gleich oder deutlich kleiner als die natürliche Strahlendosis und deren Schwankungsbreite. Die Höhe der natürlichen Strahlendosis ist im wesentlichen durch die geologischen Eigenschaften der Region, in der man lebt, bestimmt, so z.B. durch den Uran- und Radium-Gehalt der Mineralien im Boden.
2. Die gesamte Radon-Exposition durch mehrere Kuren im Verlauf eines Lebens beträgt wegen der vergleichsweise kurzen Aufenthaltsdauer im Heilstollen oder in der Wanne höchstens ein Zehntel derjenigen, die im Mittel jeder von uns durch Radon in Wohnungen und im Freien während eines durchschnittlichen Lebens von 75 Jahren erfährt.
3. Es ist bisher wissenschaftlich nicht bewiesen, ob eine im Vergleich zum Radon in Wohnungen derartig geringe zusätzliche Radonexposition überhaupt zur Vermehrung des bei allen Menschen vorhandenen, sog. spontanen Lungenkrebsrisikos in der Lage ist. Aus Vorsorgegründen wird jedoch von Fachleuten folgende bewusst pessimistische theoretische Abschätzung durchgeführt: Betrachtet man alle während des gesamten Lebens eines Patienten im Mittel durchgeführten Radon-Expositionen, und lässt man dabei biologische Anpassungsmechanismen außer Acht, dann ergibt sich rechnerisch ein Lungenkrebsrisiko von etwa einem Hundertstel des spontanen Lungenkrebsrisikos unserer Bevölkerung. Dieses beträgt derzeit etwa 5 %, gemittelt über Nichtraucher und Raucher. Das medikamentös bedingte, in statistischen Erhebungen beobachtete reale Mortalitätsrisiko durch die sogenannten nicht-steroidalen Antirheumatika liegt dagegen deutlich über diesem theoretisch berechneten Lungenkrebsrisiko der Radon-Therapie.
Unter Berücksichtigung dieser, wenn überhaupt vorhandenen, sehr niedrigen Risiken der Radon-Therapie im Vergleich zu den realen Risiken einer medikamentösen Therapie wird der Arzt entscheiden, welche Art der Therapie gemäß dem individuellen gesundheitlichen Problem im Einzelfall indiziert ist. D.h. er sucht stets nach optimalem Nutzen für den einzelnen Patienten unter dem Gesichtspunkt der Minimierung unerwünschter Nebenwirkungen. Selbst das unter pessimistischen Annahmen berechnete, hypothetische Lungenkrebsrisiko bei der Radon-Therapie von Erkrankungen des sogenannten rheumatischen Formenkreises ist nicht als einschränkend für den Nutzen dieser Therapie zu werten. Es ist vielmehr gegenüber den gesundheitlichen Risiken einer medikamentösen Therapie vergleichsweise gering.